Alltag mit Baby

Kein Schreikind, aber ein schreiendes Kind

13. Juli 2016

Ich habe noch die vielen gut gemeinten Ratschläge zum Wochenbett im Ohr, die mir Freundinnen gaben, die diese Zeit gerade hinter sich hatten: Bleib mindestens zwei Wochen einfach im Bett, Leg Dich mit der Maus aufs Sofa, schau Serien und lass Dich bekochen, schlaf, sobald das Baby schläft und vor allem genieß’ diese tolle Zeit, sie kommt nie wieder!. Ich war also eingestellt auf mindestens zwei entspannte Wochen, voller Schlaf, Dreisamkeit und Baby-Verliebtheit. Ich war dagegen ganz und gar nicht eingestellt auf das, was mich wirklich erwartet hat: Eine kleine Wirbelstern-Maus, die bereits direkt nach der Geburt zehn Minuten am Stück gebrüllt hat, die in der vierten Stunde ihres Lebens mit einem Schnuller im Mund von der Kinderstation (U1) zurück kam weil man sie anders nicht beruhigen konnte und die in den ersten vierzehn Tagen gefühlt um ihr Leben brüllte, sobald man versucht hat, sie irgendwo abzulegen (egal ob schlafend oder wach, egal ob Tag oder Nacht).

Ich hatte – abgesehen von den ersten vier Monaten – eine sehr entspannte und komplikationslose Schwangerschaft. Aus irgendeinem Grund bin ich immer davon ausgegangen, das würde automatisch auch ein entspanntes und ‚komplikationsloses‘ Baby nach sich ziehen… Deshalb fand ich es auch noch irgendwie nett, als die Kinderschwester uns am ersten Tag mitteilte, wir hätten ein sehr temperamentvolles Baby. Ich wurde auch bei der U2 noch nicht stutzig, als die Kinderärztin unseren kleinen rothaarigen Wirbelstern augenzwinkernd als Raubtier bezeichnete. Ich fand die Nächte allein mit Baby in der Klinik zwar sehr hart, dachte aber das muss so sein und schob den Rest auf die Hormone (die sicherlich auch ihren Teil dazu beitrugen). So richtig wurde mir erst klar, dass unser Baby kein Anfänger-Baby ist, als wir die ersten Nächte zu Hause hinter uns hatten: Unser Wirbelstern fand nur schwer zur Ruhe, konnte nur schlafen, wenn sie von uns getragen wurde und hatte auch dann noch Schwierigkeiten wirklich tief zu schlafen. Sie lehnte ihr Beistellbett samt Schlafsack und jegliche andere Form von Unterlage, die zu keinem menschlichen Körper gehörte, ab. Das hieß für uns: Mit ihr auf dem Arm nickten wir kurz ein für 20 bis maximal 90 Minuten, dann hieß es wieder rumtragen, schuckeln, Kind beruhigen, dazwischen stillen und wieder einen Schlaf-Versuch unternehmen. Schon nach wenigen Tagen waren meine Akkus komplett leer und ich saß immer häufiger weinend auf dem Sofa und fühlte mich maßlos überfordert, während der Papa das Kind im wahrsten Sinne des Wortes schaukelte.

Beim dritten Hausbesuch riet uns die Hebamme zum Osteopathen (das hatte zuvor auch die Kinderärztin im Krankenhaus schon erwähnt) und ein paar Tage später hatten wir Besuch von einer Baby-Osteopathin, die dankenswerterweise zu den Familien nach Hause kommt. Sie vermutete Blockaden am Kopf durch die etwas schwierige letzte Phase der Geburt, fand zusätzlich aber auch eine große Blockade im Brustbereich. Sie kam insgesamt vier Mal und wir stellten langsam aber sicher eine Besserung fest: Nach etwa zwei Wochen schafften wir mit einem komplexen Einschlaf-Ritual eine Umgebung, in der unser Wirbelstern zur Ruhe fand und zum ersten Mal drei Stunden am Stück schlief – und das im eigenen Bett (zwar nicht auf der Matratze, sondern auf einem zum Bett umfunktionierten Stillkissen, das wir seither nur noch ihren ‚Thron‘ nennen).

Seither werden die Nächte stetig besser: Seit sie etwa drei bis vier Wochen alt ist müssen wir nachts nicht mehr aufstehen um sie durch Tragen oder Wippen auf dem Pezziball zu beruhigen. Ich weiß noch welches Erfolgserlebnis die erste Nacht war, die wir komplett im Schlafzimmer verbrachten. Ich konnte es kaum glauben, als sie nach dem Stillen direkt wieder einschlief. Anfangs nur einmal, später dann auch nach dem zweiten Stillen, so dass wir auf insgesamt drei Schlafperioden kamen. Und auch diese Perioden wurden länger. Drei bis vier Stunden schafft sie mittlerweile quasi immer, wenn man sie ins Bett bringt, dann nochmal zwei bis drei Stunden. Inzwischen hat sie sogar einige Male fünf Stunden geschafft und zweimal schon über sechs, was bedeutet, sie kann durchschlafen (auch wenn das von 20.15h bis 2.30h war). Anfangs dachten wir, dass sie länger schläft, wenn wir sie abends wach halten und später ins Bett bringen – ein grober Anfänger-Fehler. Seit sie konsequent zwischen 19 und 20h ins Bett gebracht wird, schläft sie auch morgens länger (bis 5.30h oder 6h). Aber Vorsicht: Auch hier ist Geduld gefragt. Der Schlafrhythmus braucht bis zu einer Woche, bis er sich umgestellt hat.

Natürlich gibt es nach wie vor Rückschläge, Nächte in denen sie nicht einschlafen will, alle zwei Stunden wach ist oder nach dem Stillen brüllt und man sie doch wieder herumtragen muss. Dann fühle ich mich sehr schnell an die ersten Wochen zurück erinnert und weiß sehr zu schätzen, wie gut die Nächte eigentlich inzwischen laufen. Denn man braucht viel Energie, um die Tage zu meistern. Da schläft sie nach wie vor nur mit Körperkontakt (in der Trage) oder in der Federwiege (wenn einer von uns daneben sitzt und wippt). Sie verschmäht den schönen Kinderwagen, bei dessen Kauf ich nicht im Traum daran dachte, dass es Babys gibt, die nicht gern abgelegt und herumgefahren werden. Ich kann an einer Hand abzählen, wie oft sie im Stubenwagen lag, den uns die Uroma extra nach München hat bringen lassen, weil dort seit 60 Jahren alle Kinder der Familie ihren Mittagsschlaf drin gehalten haben (und jetzt passt sie bald nicht mehr hinein). Und auch die selbstgenähte Krabbeldecke kam bisher hauptsächlich als Föhn-Unterlage nach dem Baden zum Einsatz.

Status Quo

Aber es wird besser! Unser Wirbelstern ist jetzt neun Wochen alt und letzte Woche sagte die Hebamme: Die gute Nachricht ist, ihr habt zwei Drittel geschafft von den ‚blöden’ zwölf Wochen! Immer öfter begrüßt sie uns morgens mit einem strahlenden Lächeln und liegt fröhlich glucksend noch eine Stunde mit uns im Bett, bevor wir aufstehen müssen. Neulich haben wir mal wieder den Kinderwagen rausgeholt und sie hat 30 Minuten darin geschlafen, bevor das Gebrüll los ging. Beim Essen setzen wir sie hin und wieder in die Baby-Wippe, in der sie an guten Tagen auch 15 oder 20 Minuten anstandslos liegen bleibt und wenn sie tief schläft wagen wir es manchmal, die Federwiege nicht weiter anzuschubsen.

Es gibt auch ganz hervorragende Tage, an denen sie fröhlich glucksend in der Babyschale liegt, ihre Mitmenschen anstrahlt und jeden verzaubert, der sie anschaut. Dann dürfen wir uns oft anhören: Die schreit ja gar nicht oder Das ist doch ein ganz normales Baby. An dieser Stelle sei gesagt: Nein, das ist sie nicht. Sie ist das großartigste Baby der Welt, ich könnte jedes Mal vor Glück weinen, wenn sie mich anstrahlt, es gibt keinen schöneren Geruch als ihren und kein schöneres Gefühl als ihr warmes Köpfchen an meinem Kinn und meiner Schulter.

Und trotzdem ist sie anspruchsvoll und manchmal anstrengend, wenn sie ohne ersichtlichen Grund brüllt (und ich schreibe hier absichtlich ‚brüllt‘ und nicht ‚weint‘), wenn man ihr durch nichts helfen kann, wenn sie sich windet weil sie Bauchweh hat und wenn sie sich irgendwann heiser geschrien hat und nur noch ein Krächzen aus ihrer Kehle kommt.

Ein Appell

Liebe Leute da draußen: Wenn euch übermüdete, frischgebackene Eltern gegenüber sitzen und Euch von der anstrengenden Zeit berichten, dann nehmt sie ernst! Es ist doch ganz egal, ob sie nun per Definition ein Schrei-Baby haben oder nicht, ob ihr Kind überdurchschnittlich (was heißt das schon?) anspruchsvoll ist oder nicht – es kommt ihnen auf jeden Fall so vor. Und am wenigsten helfen dann Kommentare in Richtung Was stellt ihr Euch denn so an? Denn in der Regel zweifeln wir bereits an unserer Fähigkeit, eine gute Mutter zu sein. Was wir stattdessen brauchen sind einfach offene Ohren und ein bisschen seelischer Beistand, a la Die nächsten Wochen schafft ihr auch noch oder Du hilfst ihr schon, in dem Du einfach da bist und sie in der Welt ankommen kann.

Das ist es nämlich worauf es ankommt: Manche Babys brauchen einfach etwas länger, bis sie mit den vielen neuen Eindrücken, die die Welt für sie bereithält klar kommen. Ob es nun zwölf Wochen sind, sieben oder 16 ist am Ende auch egal. Unsere Aufgabe als Mutter ist es, für sie da zu sein, ihnen so gut es geht beizustehen auf ihrem Weg in die Welt und sie zu trösten. Aber wir können ihnen diesen Weg nicht abnehmen.

You Might Also Like

No Comments

Leave a Reply