Schwangerschaft

Der Geburtsvorbereitungskurs oder: Warum ich fremden Männern den Po massierte

8. Mai 2016

Von allen Maßnahmen die man während der Schwangerschaft ergreifen kann um sich auf die Geburt und das Leben mit Kind vorzubereiten, dürfte der Geburtsvorbereitungskurs eine der bekanntesten sein. Gefühlt hat jeder schon mal Bekanntschaft mit dieser oft belächelten Veranstaltung gemacht, sei es durch Erzählungen von Freunden, in (meist amerikanischen) Filmen oder auch als Teilnehmer. Entsprechend groß sind auch die Vorurteile und zum Teil verrückt die Erfahrungswerte. Von einer Kollegin und ihrem Mann weiß ich, dass sie den Kurs sehr genossen haben – nicht etwa, weil er sie inhaltlich oder mental der Geburt näher gebracht hätte, sondern weil die dort praktizierte Fantasiereise so wohltuend war, dass beide ein ordentliches Nickerchen machen konnten. Eine Freundin wiederum musste ihrem Freund noch in der Phase der Familienplanung (also bevor sie überhaupt schwanger war) versprechen, dass er von dem Besuch eines „Hechelkurses“ – wie er es ausdrückte – in jedem Fall befreit wäre.

Ich habe zwar auch Bücher in denen Latenz-, Eröffnungs- und Austreibungsphase der Geburt beschrieben werden, für mich war aber dennoch klar, dass noch etwas mehr zu guter Geburtsvorbereitung gehört und ich deshalb auf jeden Fall einen Kurs besuchen möchte. Nur: Wie aus dem schier unendlichen Angebot das richtige finden? Ausgewählt habe ich schließlich nach drei Kriterien: Als Kursanbieter wollte ich eine Institution der ich vertrauen kann, die ich also möglichst schon kenne. Außerdem wollten wir den Kurs gern als Paar machen und das möglichst nicht über acht Wochen an jedem Dienstagabend sondern kompakt, so dass es gut in den Terminkalender passt. Entschieden haben wir uns dann für einen Geburtsvorbereitungskurs für Paare am Wochenende, angeboten von der Klinik in der auch unser Kind zur Welt kommen soll. In Großstädten in denen wie in München ein neuer Baby-Boom im Gange ist lohnt sich eine frühe Anmeldung, damit man am Ende nicht ohne Platz da steht. In unserem Fall war das um die 20. Woche, stattgefunden hat der Kurs dann als ich in der 33. Woche war.

Worüber ich mir im Vorfeld weniger Gedanken gemacht hatte war, dass auch die inhaltliche Ausrichtung der Kurse stark variiert und von den Kursleitern abhängig ist. Ich gehe zwar davon aus, dass in allen Kursen der Geburtsvorgang besprochen wird und die Maßnahmen, die man ergreifen kann um diesen bestmöglich zu überstehen. Aber manche Hebammen legen zudem einen Fokus auf Wochenbett oder Säuglingspflege, andere nutzen die Zeit für zahlreiche Erfahrungsberichte und daraus abgeleitete Tipps, einige führen in die Welt des Hypno-Birthings ein und dann gibt es zahlreiche sehr individuelle Ansätze, wie ihn beispielsweise auch unsere Kursleiterin verfolgt: Als Entwicklungspsychologin im Rentenalter hat sie sich Zeit ihres Lebens mit der Frage beschäftigt, welche Entwicklung ein Kind quasi von der Zeugung bis in die Jugend durchmacht, wodurch diese beeinflusst wird und inwiefern sie steuerbar ist. Das Verlangen diese Erkenntnisse auch im Rahmen eines Geburtsvorbereitungskurs noch weiter zu ergründen und vor allem an andere Paare weiter zu geben kam ihr dabei vor über 30 Jahren, als sie selbst mit ihrem ersten Kind schwanger war. Kurzerhand entwickelte sie deshalb zusammen mit der damaligen Klinikleitung selbst ein Konzept „Geburtsvorbereitung für Paare“, was für damalige Verhältnisse (als Männer gerade erst zur Geburt mit in den Kreißsaal durften) ziemlich revolutionär war. Der Fokus lag (und liegt bis heute) auf der Geburt an sich, also dem Zeitrahmen der ersten Wehe bis zum Abschluss der Nachgeburt und der Frage, wie Frauen sich darauf einlassen und ihre Männer sie bestmöglich unterstützen können. 

Statt also vorurteils-getreu zwei Tage mit Hechel-Übungen zu verbringen, hörten wir erstmal einen längeren theoretischen Vortrag über Funktionsweisen des weiblichen Körpers, spielten mit Hilfe eines „mittel-europäisch genormten Beckens“ und der Puppe Philipp die Geburt durch und erfuhren welche bio-chemischen Reaktionen Hormone hervorrufen und wie sie die einzelnen Phasen der Geburt beeinflussen. Das mag erstmal langweilig wissenschaftlich oder anstrengend theoretisch klingen, ich muss aber sagen, dass wir sehr viel gelernt haben und auch wenn uns die Herangehensweise zunächst fremd war (O-Ton Kursleitung: „Ich referiere jetzt erstmal über die folgenden Themen und bitte darum, dass Fragen erst im Anschluss gestellt werden“) war der Kurs in jedem Fall eine Bereicherung und ich fühle mich auch auf die Geburt sehr gut vorbereitet. 

Und natürlich gab es nach der ganzen Theorie auch für uns noch jede Menge Praxisübungen: Durch Aufreißen der Mundwinkel mit den Fingern wurde ein Wehenschmerz simuliert, den dann Männer und Frauen gleichermaßen veratmen und vertönen durften, außerdem lernten wir verschiedenste Paar-Positionen in denen die Männer ihre Frauen während einer Wehe bestmöglich stützen konnten und selbstverständlich auch die verschiedensten Atem-Techniken während der einzelnen Geburtsphasen (an dieser Stelle sei angemerkt: Gehechelt wird schon lange nicht mehr, jetzt ist schnauben angesagt – also quasi Pferd statt Hund). Die Praxisphase gipfelte schließlich in einem „Massage-Kreis“ in dem sich alle Paare im Kreis aufstellten und jeweils der Vorderfrau (oder dem Vordermann) den Rücken und den Po erst ausklopften und dann ausstrichen – nach asiatischer Massage-Technik, die auch während der Geburt sehr wohltuend sein soll. Da waren wir also, mitten im Klischee der „Hechel-Kurse“…

Besonders nachdrücklich in Erinnerung geblieben ist mir trotzdem eine Sache aus dem theoretischen Teil: So gut wie jede Frau, die eine Geburt hinter sich hat verkündet oft bereits kurze Zeit später, dass all der Schmerz vergessen ist, sobald man das Kind im Arm hält. Für diese Weisheit gibt es tatsächlich eine medizinische Erklärung: Da es sich bei Wehenschmerz „nur“ um einen Muskel-Dehnungsschmerz und nicht um pathologische Schmerzen handelt, wird dieser nicht in unserem Schmerzgedächtnis gespeichert. Die Erinnerung daran verschwindet also tatsächlich, sobald der Schmerz vorbei ist – was ziemlich genau mit dem Moment zusammen trifft, in dem die frischgebackene Mutter ihr Kind im Arm hält. Für mich als eher rationaler Mensch war diese Erkenntnis sehr beruhigend und deshalb auch die Ausrichtung des Kurses absolut richtig (Zufallstreffer!). Aber natürlich stehen für jede Schwangere andere Dinge im Fokus, insofern lohnt es sich wirklich einen Geburtsvorbereitungskurs nicht nur nach formalen Kriterien auszuwählen, sondern sich im Vorfeld auch so gut es geht über die inhaltliche Ausrichtung zu informieren.

 

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